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Gerd Wolf um 1950

Gerd Wolf um 1950

Gert Wolf, 1956

Gert Wolf, 1956

Hannelore und Gert Wolf bei der Obsternte, ca. 1946

Hannelore und Gert Wolf bei der Obsternte, ca. 1946

Vater und Tochter: Nathan und Hannelore Wolf am Horn

Vater und Tochter: Nathan und Hannelore Wolf am Horn

 
 
Beim Baden am Horn, Sommer 1945

Beim Baden am Horn, Sommer 1945

 
Reifezeugnis von Hannelore Wolf, 31. Juli 1946

Reifezeugnis von Hannelore Wolf, 31. Juli 1946

Wangen nach 1945

 

Unmittelbar nach Kriegsende kehrt Nathan Wolf in sein Heimatdorf zurück. An seine Gefühle dabei erinnert er sich zwei Jahrzehnte später so:


Als dann der Krieg endlich zu Ende ging und ich wohl als einer der ersten die Grenze passierend der Heimat zueilen durfte, da war ich wie zu neuem Leben erwacht. Ich war weinend voll des Glückes. Weinend auch streckten mir die alten Wangener ihre Hand entgegen und freuten sich mit mir. Dies und die Freude an der wieder gefunde­nen Heimat gaben mir die Kraft, alles Schlimme zu vergessen und in der Besatzungszeit das Beste für meine Heimat herauszuholen. So konnte ich mehr als einmal hohe Abgaben bis auf ein paar Hühner oder Schnaps herunterschrauben und lästige Einquartierungen wieder rückgängig machen.

Ob es wirklich so gewesen ist?
Das Zitat stammt aus der Dankesrede, die Nathan Wolf anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde seiner Heimatgemeinde im Februar 1966 an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger gerichtet hat.

Ein weiterer Quellenfund gibt unmittelbareren Einblick in die Erlebnisse und Emotionen Nathan Wolfs nach seiner eiligen Rückkehr aus dem Exil. Seinen umfangreichen über mehrere Tage fortgesetzten Briefbericht hat Nathan Wolf vermutlich an die Schwestern Selma und Clem gerichtet, die zu diesem frühen Nachkriegszeitpunkt noch in Stein am Rhein ausharren.

Die nicht datierten Notizen dürften vom 3.–20. Juni 1945 entstanden sein.


Nathan Wolfs Briefbericht in Auszügen:

Wangen, Sonntag Nacht 12h deutsche Zeit. Meine Lieben, seit Freitagnacht bin ich noch nicht zur Ruhe gekommen, dauernd kommen Leute, mir grüß gott zu sagen, oder mich um irgendeinen auch nicht ärztlichen Rat anzugehen. Ich weiß wirklich nicht, wo ich beginnen soll. […]
Es war 3 Uhr morgens, als wir zu Bett gingen – aber um 6 deutscher Zeit war ich schon wieder auf. Ich schlief hinten raus, und als Erstes sah ich den leeren Platz, auf dem das Gotteshaus [die am 10.11.1938 zerstörte Synagoge] einst stand und das jetzt ein Kartoffelfeld ist. Das hat mir den Genuss, auf den stillen blauen heimeligen See hinaus zu schauen, etwas verbittert, und so mischte sich in die Freude, nach so langer langer Zeit, wieder heimatlichen Boden zu schauen und vertraute Gesichter wie Haubers und Kampfls schon in aller Frühe zu erblicken, doch ein bitterer Tropfen. Und nun ging ich, da in Iseles Haus selbst noch niemand auf war, still und heimlich in unser Haus, wo liebe Hände mir das Wohnzimmer fast wieder so hergerichtet hatten, wie ich es einst verlassen hatte. […]
Aber was etwas vom Erfreulichsten ist, das ganze so kostbare Silber von der Synagoge, das bei Alfred lag und dass die S.S. mitzunehmen vergessen hatte, lag wohl aufbewahrt im Rathaus noch in derselben Schachtel, die 2 Tafeln und 4 Deuter und Schofarhorn und die 4 glockenförmigen Aufsätze mit den Glöcklein, alles ist noch da und wird die Wangener in Zürich und Kreuzlingen nicht wenig erfreuen. Ich habe alles im Hause; Schmidle und Vinzenz und Konrad Ruf haben es mir heute Mittag überreicht und empfanden selbst die größte Genugtuung. […]
Aber eines fehlt halt, mein größtes – Verlangen ist noch nicht gestillt – die lieben lieben Kinder, die mich gewiss jede Stunde erwarten und es nicht begreifen werden, dass ihr Pappi nicht kommt, aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie von selbst eines Tages kommen, ehe mein Gesuch bewilligt ist, das vielleicht nie kommt.

Unbarmherzig verfolgt Nathan Wolf nur eine Handvoll Menschen, wie er überhaupt die Nazis für eine vor allem von außen über das Dorf gekommene Pest hält (»preußisches Gesindel«); den meisten seiner früheren Nachbarn im Dorf gegenüber ist er zu großzügigem Vergeben und Vergessen bereit.

Ihr macht Euch keinen Begriff, was sich alles jetzt an mich heran drängen möchte, besonders zugezogene Herrschaften von und zu, die meinen Einfluss offenbar sehr überschätzen. […] Na, mit Leuten wie Godeck und Hoffmann bin ich rasch fertig, den Räumungsbefehl dieser Herrschaften habe ich schon in der Tasche. Sonst kann ich Euch nur sagen, dass eitel Freude herrscht, dass ich wieder da bin, aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit, […] Unsere Familie steht bei allen noch im besten Andenken, die Freunde sind alle geblieben und die anderen wären froh, wenn sie wiedergutmachen könnten, man versteht dort, dass ich kühl und reserviert bin.

Donnerstagabend 10 Uhr [wahrscheinlich handelt es sich hier um den 14. Juni]. Dass ich gestern nicht mehr zum Schreiben kam, könnt Ihr Euch denken etc., ich stand gerade im Hausgang und wollte zu Iseles rübergehen zum Essen um ½1  Uhr, da stand plötzlich vor mir – Hannelore und gleich darauf Gert! Ich werde diesen Augenblick nie vergessen! Wir lagen uns in den Armen und waren glücklich, sehr glücklich, am liebsten hätte ich es gleich nach Stein berichtet. Beide mit grossen Rucksäcken kamen sie an und verschwitzt. […] Es war bald überall bekannt, dass sie da sind. Gleich war Ida da, selig, dass die Kinder wieder da sind, […] Nachmittags richteten wir Hannelores Zimmer ein; schon am Vormittag schaffte ich daran, weil ich wirklich dachte, sie könnten doch vielleicht kommen. Beide sehen prima aus, Gert ist grösser als ich und sieht kräftig und gebräunt aus, Hannelore hat Beine und Arme wie eine rechte Magd. Schon beim Mittagessen erzählte sie und schwäbelte und unterbricht uns alle. Am Freitag Morgen sind sie von Stuttgart weg mit amerikanischem Pass, der aber nur bis Ulm ging. Dort übernachteten sie in einem Auffanglager mit allen möglichen Völkern zusammen bis Montag Morgen und stiegen dann ohne Genehmigung, aber nicht ohne Gefahr in den Zug nach Friedrichshafen ein. In Radolfzell übernachteten sie bei Mattes; Frau M. tischte ihnen sehr gut auf und freute sich sehr mit ihnen und gab ihnen noch allerhand mit. In Radolfzell trafen sie einen ihnen unbekannten Mann, der ihnen sagte, dass ich hier wäre, das wisse man in ganz Radolfzell.

Samstag Morgen [wahrscheinlich 30. Juni]. Seit ¾ 5 schweizer Zeit bin ich auf, die Kinder schlafen noch gut, aber sonst ist überall schon Leben im Dorf. Der Polizei Ernst Trüb hat schon ausgeschellt, heute Abend findet endgültige Bürgermeisterwahl statt, zwischen Alfons Löhle und Auer und Hauber, im Übrigen ändert sich nichts. Grundbedingung ist, dass keiner Mitglied der Partei ist, was insofern schade ist, als sonst Vincenz Frengele der geeignete Mann gewesen wäre, den auch die Kinder sehr loben. Ihr Urteil lässt auch mich manches revidieren. Einig sind wir uns in der Gegnerschaft gegen Richard Schweizers, Nepomuk Grundlers, Hoffmanns und Böschensteins und Godeck natürlich. Hannelore ist überlegen vornehm und meint, der liebe Gott solle richten, im Übrigen solle man mit Verachtung strafen, das ist wohl auch das Richtige. […] Ekelhaft ist, wie würdelos sich gerade die Naziweiber – verheiratete, die ja fast durchweg ohne Männer sind und zugezogen und unverheiratete – den Franzosen in die Arme werfen, so dass sie sich selbst lustig darüber machen. So also sieht die teutsche Frau von Goebbels und Rosenberg und den anderen Verbrechern aus. Bei allen Gesprächen, die ich zu führen gezwungen bin, lege ich grössten Wert drauf, die Menschen von ihrer Mitschuld zu überzeugen, das ist noch eine grosse Aufgabe.
[…] Inzwischen waren 2 Weiber da, die sich entschuldigen wollten wegen Sachen, die sie in ihrem Hause hätten und die mir gehörten, na, ich habe sie ordentlich angefahren,
[…] Es wimmelt hier von Generaldirektoren und Professoren und altem und neuem Adel, von eleganten Toiletten, aber es kotzt mich an, wie unterwürfig sie alle gegen mich sind, offenbar weil sie glauben, dass ihr weiterer Aufenthalt von meiner Gnade abhängig ist, und jetzt, nachdem ich offiziell stellvertretender Bürgermeister bin, erst recht.

Schon in den ersten Nachkriegstagen regen sich seine politischen Instinkte wieder:

In Singen suchte ich zuerst den neuen Bürgermeister Dr. Dietrich auf, mit dem ich 4 Stunden lang conferierte, d.h. vormittags auf dem Rathaus und nachmittags mit Hannelore und Gert zum Kaffee in seiner Wohnung. Der geht radikal vor mit all‘ dem preußischen Gesindel – auch die Ärzte, die nicht aus dem Badischen stammen, und ich werde dafür sorgen, dass Hoffmännle und Godeck alsbald ihre Wohnungen zu verlassen haben und die Häuser beschlagnahmt werden für die Gemeinde. Die Nazis dürfen nicht so ungestraft davonkommen, sie machen sich schon wieder frech und würdelos an die Besatzung heran, das muss sofort unterbunden werden, und in dieser Beziehung erwarten alle Gegner des Regimes von mir, dass ich durchgreife.

Als politisch Unbelasteter wird sich Nathan Wolf in den Jahren und Jahrzehnten nach seiner Rückkehr ehrenamtlich als Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister für die Interessen des Dorfes einsetzen. Beste Beziehungen pflegt er zu den Franzosen, die als Besatzungsmacht im Wangen benachbarten Schloss Marbach residieren. Die meisten Wangener rechnen ihm hoch an, dass er mit einer hohen Bereitschaft zurückgekehrt ist, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen; böse Post erhält er dennoch immer wieder einmal.

Es war ja ein wunderschöner Sommer 1945. Ich fühlte mich wie ein Vogel, dem man den Käfig aufmacht. Ich hab nicht gewusst, was aus mir wird, ich hab auch nicht gewusst, wie es weitergeht. Mir war das egal. Was gewesen war, war vorbei. Was für die meisten der »Zusammenbruch« war, war für uns die Befreiung. Hitler war weg und wir waren da. Die Welt war wieder in Ordnung. […] Und wir waren wieder daheim! Ich war wieder die Hannelore, von der Lore zur Hannelore geworden. Und ich dachte, jetzt musst du nicht mehr früh aufstehen, nicht mehr Geißen melken, nicht mehr den Stall misten, keinen Brotteig machen und hacken, bis dir alles wehtut – und ich hab gedacht, ich geh den ganzen Sommer ans Wasser und mach gar nichts.

Da hatte ich aber nicht mit meinem Vater gerechnet. Der bestand darauf, dass ich das Abitur mache. […] Deshalb hatte er in ein paar Wochen diese ganzen Nachhilfestunden für mich organisiert […]. Und so konnte ich im November 1945 direkt in die Oberprima, hab also alles, was zwischendrin war, übersprungen. Man war damals außerordentlich großzügig. Ich hab dann im Juli 1946 das Abitur gemacht in Konstanz an der Zeppelin-Oberrealschule.

Aus der Erinnerungserzählung von Hannelore König


 
Die Jurastudentin in Freiburg

Die Jurastudentin in Freiburg

Seit dem Wintersemester 1946/47 studiert Hannelore Wolf Jura. Von ihrem Studienort Freiburg aus korrespondiert sie mit ihren über die Welt verstreuten jüdischen Verwandten, so auch mit der Tante Clem Neu, die bei ihrem Sohn Erich in New York lebt. Ihr Bericht über den Arbeitseinsatz der Studenten für den Wiederaufbau und die Auswirkungen der Währungsreform begeistert die Tante.
Sie reicht das Schreiben an die deutschsprachige »New Yorker Staats-Zeitung« weiter, die es am 29. Juli 1948 veröffentlicht.

Am Samstag vor der Währungsreform herrschte hier ein Treiben, wie ich es noch nie erlebt habe. Die Stadt war schwarz von Men­schen, die in Panikstimmung umherrannten und versuchten, ihr Geld loszuwerden. Jedes Geschäft, einerlei was es verkaufte, war bis zur Tür voller Menschen, die ihr Geld in Parfüm (1 Fläschchen 50 Reichs­mark), in Lockenwicklern, Blecharmbändern, Kochsalz oder Aspirin anlegten. […]
Am Sonntag gab es dann pro Kopf 40 Mark neues Geld, wofür man 60 Reichsmark abliefern musste. […]
Am Montag zeigte sich dann ein völlig verändertes Bild. In der Stadt waren kaum ein paar Menschen, die Spannung vom Samstag war betrübter Beklommenheit gewichen. An der Universität war Grabes­stimmung. An jeder Ecke standen Gruppen von Studenten, die sich überlegten, wie sie ihr Studium weiter finanzieren sollten. Für die meisten ist die Währungsreform eine Katastrophe. Allein von meinen Kollegen, die ich gut kenne, müssen die Hälfte ihr Studium aufgeben oder doch für längere Zeit unterbrechen. Die vielen, die von dem Geld, das sie im Kriege zurückgelegt haben, studierten und von da­heim nichts bekamen oder die aus der Bizone sind, sind am übel­sten dran. So habe ich zum Beispiel einen guten Bekannten, der von 1939–1946 beim Militär war, inklusive 2 Jahre Gefangenschaft in Amerika, Eltern in der Ostzone, total ausgebombt, noch 2 Semester bis zum Examen. Außer den 40 Mark Kopfgeld, die nicht einmal fürs Essen und die Miete reichen, besitzt er keinen Pfennig mehr. Er ist 30 Jahre alt und kann jetzt als Bauarbeiter weiter machen
.

 

Postkarte von 1927

Postkarte von 1927

Bereits im Jahr nach der Zerstörung des jüdischen Gotteshauses, Ende 1939, hatte die politische Gemeinde erfolglos versucht, sich in den Besitz des Synagogengrundstücks zu bringen. Im Sommer 1948, während seiner Zeit als kommissarischer Bürgermeister, verpachtet Nathan Wolf das Gelände als Gartenland an den Metzger Isele und muss sich dafür nach einer Beschwerde vor dem Oberrat der Israeliten Badens, dem Rechtsnachfolger der jüdischen Gemeinde Wangen, rechtfertigen; am 3. August 1948 schreibt er:

Es wäre in der Tat unverantwortlich, wenn ein selbstbewusster Jude […], ausgerechnet einem berüchtigten Parteigenossen den Synagogenplatz als Garten überlassen hätte. Die Behauptung, Herr Metzger Isele sei ein übler PG und gegen ihn schwebe ein Verfahren, ist eine wider besseres Wissen aufgestellte LÜGE des Herrn Bauer vom kontrollierten Vermögen, der sein Amt missbraucht und sich auf dessen Kosten mästet. Dieser Herr Bauer ist liiert mit dem berüchtigten Ehepaar Kern von Wangen, das sich nachweisbar wie sonst niemand im Dorf an jüdischem Eigentum vergriffen hat.


 
Nathan Wolf, ca. 1950

Nathan Wolf, ca. 1950

Bei der Rückkehr aus dem Exil ist Nathan Wolf 63 Jahre alt; offensichtlich im besten Alter, um beruflich noch einmal durchzustarten, jedenfalls nimmt er seine Tätigkeit als Arzt schon wenige Tage nach der Heimkehr im Sommer 1945 wieder auf. Den Beruf, der ihm längst zur Berufung geworden ist, wird er bis kurz vor seinem Tod ausüben.

Freizeit hat mein Vater keine gehabt, er hat enorm gearbeitet. Die französischen Soldaten hat er vorwiegend im Austausch gegen solche Sachen behandelt, die sie irgendwo geklaut hatten. Wenn er zum Beispiel gesagt hat, er brauche Benzin, dann hat der Soldat einen Kanister voll französischem Benzin gebracht. Da hatten beide das allerbeste Gewissen. Und wenn er mal trotz Franzosen kein Benzin hatte, dann nahm er das Rad. […] Wenn morgens um sechs das Milchauto von Öhningen nach Gundholzen fuhr, dann hat er sein Fahrrad auf den Milchwagen geladen, hat seine Mappe draufgeschnallt und ist von Gundholzen zurückgeradelt nach Wangen: unterwegs hat er seine Krankenbesuche gemacht. Und weil das Milchauto schon um 6 Uhr ging, sind manche Patienten noch im Bett gelegen, wenn er kam.
Dann war er um 9 wieder hier und hatte die Hausbesuche in dieser Richtung schon erledigt. […] Damals kamen die Kinder ja auch fast alle noch zuhause auf die Welt. Mein Vater war – so stand es auf seinem Praxisschild, »praktischer Arzt und Geburtshelfer« – er hat sicherlich hunderten von Kindern auf die Welt geholfen.

Aus der Erinnerungserzählung von Hannelore König


 
 
Stuttgarter Nachrichten vom 24. Februar 1956

Stuttgarter Nachrichten vom 24. Februar 1956

Seine Beliebtheit bleibt über die Jahrzehnte hinweg ungebrochen, wie das Schreiben seiner Patientin Maria Büche vom 9. April 1952 belegt. Hierin dankt sie ihrem »herzguten Arzt« auf schriftlichem Wege.

Belobungszeugnis!
Dem Herzguter Artz in schwer Krankheiten
Wo Tag und Nacht am Mein Bette war.
Wo so zu sagen Mein Lebens Retter war 1920 und
Mein Schwägerin Wo Sie mit Ein Kind gegangen ist
Wo Ich Tag und Nacht geopf[ert] habe
Wie ihr Mann auch in Kranken Tagen.
8 Kind auf Weg war und jederzeit habe Hilf gehabt.
Doktor Wolf.
Sehr gut.

 

Abenteuerlustig bleibt Nathan Wolf sein ganzes Leben lang – wie sehr, zeigt die folgende Bilderserie vom Februar 1956. Da wagt sich der 72 jährige mit seinem Auto auf das vermeintlich sichere Eis des Untersees und fährt von Wangen nach Steckborn. Dort bricht er ein …

Abenteuer auf dem Eis: Nathan Wolf fährt von Wangen über den zugefrorenen Untersee nach Steckborn
© Hiltbrunner


Brief Nathan Wolfs an seine Tochter Hannelore, 25.2.1957

Brief Nathan Wolfs an seine Tochter Hannelore, 25.2.1957

Was die Versorgung seiner Patienten angeht, wird Nathan Wolf auch in hohem Alter nichts zu viel. Für einen Hausbesuch fährt er mit 74 Jahren noch mal eben ins gut eine halbe Stunde entfernte Radolf­zell. Davon berichtet er seiner Tochter in einem seiner zahlreichen Briefe:

Eben telefonierte ein Herr Fuchs, ich solle seine 83jährige Mutter besuchen, sie sei krank und wolle unbedingt mich, nun muss ich der alten Frau zuliebe, die früher in Weiler wohnte, für 3 Mark! nach R’zell fahren, aber ich werde es tun und natürlich nichts von ihr verlangen.

Derweil beginnt Hannelore Wolf ihre Karriere als Juristin. Dieses Bild zeigt sie 1957 im Stuttgarter Amt für Wiedergutmachung

Derweil beginnt Hannelore Wolf ihre Karriere als Juristin. Dieses Bild zeigt sie 1957 im Stuttgarter Amt für Wiedergutmachung

 

Schon während des Referendariats am Bodensee »habe ich meine Liebe zur Staatsanwaltschaft entdeckt und zwar einfach deshalb: es ist immer spannend, man kann etwas bewirken und trägt zur öffentlichen Ordnung bei. Als Referendarin durfte ich in die Sitzung gehen und den Staatsanwalt vertreten. Das habe ich immer sehr gern gemacht, weil die Sitzung das Salz in der Suppe ist. Nur am Schreibtisch, das ist nichts – man muss richtig wirken können. […]

Bei der Staatsanwaltschaft war ich von Anfang an gern, man musste tüchtig arbeiten. Damals hat man am Samstag noch bis um eins gearbeitet. Und die Frauen haben für genau die gleiche Arbeit weniger bekommen als die Männer, das hat man heute auch schon vergessen. […]

Ich hab dann schon spannende Sachen erlebt. Zum Beispiel hatte ich Sitzung beim Amtsgericht Bad Cannstatt, da war so ein alter Amtsgerichtsdirektor, der hat gesagt: »Fräulein König …« – »Nein«, hab ich gesagt, »nicht Fräulein König, ich bin Frau König.« – »Kann Ihr Mann Sie nicht verhalten?«, also Sachen, da geht einem eigentlich das Messer in der Tasche auf, wenn man so etwas hört. Und dann, als ich mal in der Sitzung war und die Robe anhatte, kam ein Rechtsanwalt auf mich zu und hat wohl gedacht, ich sei die Protokollbeamtin: »Wann kommt denn endlich der Staatsanwalt?« – »Da kommt keiner.« –  »Ja, da muss doch ein Staatsanwalt da sein, Fräulein, gucken Sie doch mal, wann endlich der Staatsanwalt kommt!« Da hab ich gesagt: »Ich bin kein Fräulein, ich bin der Staatsanwalt.« 

Mehrere Jahre lang war ich wirklich die Einzige, und es hat eine Weile gedauert, bis sich das herumgesprochen hat.

Aus der Erinnerungserzählung von Hannelore König


 
Am 31. Dezember 1958, ihrem 33. Geburtstag, heiratet Hannelore Wolf den aus Berlin stammenden Rechtsanwalt Dieter König.

Am 31. Dezember 1958, ihrem 33. Geburtstag, heiratet Hannelore Wolf den aus Berlin stammenden Rechtsanwalt Dieter König.

In der Zeitung geben sie ihre Vermählung bekannt

In der Zeitung geben sie ihre Vermählung bekannt