banner_40er.jpg

Nanette Wolf, 1940 * 29. Januar 1853 in Wangen † 22. August 1941 in Stein am Rhein

Nanette Wolf, 1940
* 29. Januar 1853 in Wangen
† 22. August 1941 in Stein am Rhein

Oktober 1940 in Wangen

 

Am 22. Oktober 1940 werden die letzten sieben jüdischen Bürge­rin­nen und Bürger Wangens in das französische Sammellager Gurs deportiert. Dies geschieht im Auftrag des NS-Gauleiters Robert Wagner, der in vorauseilendem Gehorsam ein »judenfreies Baden« schaffen will.

Neben Nanette und Selma Wolf trifft es deren Nach­barn Alfred und Paula Wolf, die verwitwete Rosel Wolf, deren Mann Emil nach den Misshandlungen im KZ Dachau schon im Juli 1939 im Singener Krankenhaus verstorben ist, sowie die hochbetagten Schwestern Karoline Sandmer und Fanny Bernheim.

Bis auf Nanette und Selma Wolf wird niemand von ihnen die Deportation überleben.


Fanny Bernheim * 31. März 1858 in Wangen † 10. Februar 1941 in Gurs

Fanny Bernheim
* 31. März 1858 in Wangen
† 10. Februar 1941 in Gurs

Von Fanny Bernheim ist kein Bild überliefert.  

Karoline Sandmer  * 21. Februar 1856 in Wangen  † Camp Récébédou

Karoline Sandmer
* 21. Februar 1856 in Wangen
† Camp Récébédou

Karoline Sandmer wurde am 22. Oktober 1940 von Wangen aus nach Gurs deportiert. Sie starb im Internierungslager Récébédou vor September 1942 und wurde auf dem christlichen Friedhof von Portet bei Toulouse beigesetzt.

Selma Wolf * 4. Februar 1881 in Wangen † 27. Juni 1971 in Wangen

Selma Wolf
* 4. Februar 1881 in Wangen
† 27. Juni 1971 in Wangen


 
Alfred Wolf  * 24. November 1881 in Wangen † Auschwitz

Alfred Wolf
* 24. November 1881 in Wangen
† Auschwitz

Am 10. November 1938, dem Tag des Novem­berpogroms in Wangen, wird Alfred Wolf wie alle anderen jüdischen Männer des Dorfes im Keller des Rat­hauses brutal zusammenge­schla­­gen. Zwei Tage später wird er ins KZ Dachau verbracht und dort bis zum 17. Dezember 1938 festgehalten.
Er kehrt nach Wangen zurück, von wo aus er am 22. Oktober 1940 in das Inter­nierungslager Gurs deportiert wird. Nach einer Zwischenstation im Sammellager Drancy in Frank­reich wird Alfred Wolf zusammen mit seiner Frau Paula am 12. August 1942 nach Auschwitz deportiert. Alfred Wolf wird in Auschwitz ermordet. Sein Todesdatum ist unbekannt.

Er war auch im Ersten Weltkrieg gewesen und hat es, glaub ich, bis zum Unteroffizier gebracht und hatte jedenfalls das EK II, also das Eiserne Kreuz 2. Klasse, und er gehörte zur Wangener Feuerwehr, war also ein Feuerwehrmann, und war, was man einen Reisenden nannte, also einen Handelsvertreter, er hatte ein kleines Auto, und womit er gehandelt hat, das kann ich nicht sagen, es waren also sicher keine wertvollen Sachen, denn er hat außerordentlich bescheiden gelebt. Und nachdem er dann den Handel nicht mehr ausüben konnte, weil die jüdischen Händler natürlich auch keine Kundschaft mehr hatten, war er die meiste Zeit daheim, und hat dann mit meinem Vater Zego gespielt, das ist ein altes, offenbar spanisches Kartenspiel. Und eins weiß ich noch, die beiden haben in der Waschküche einen Tisch hingestellt, wo man ja schön in den Garten rausgucken kann und da haben sie ihr Zego gespielt, und der Alfred durfte bei sich zuhause nicht rauchen, hatte also offenbar eine ganz moderne Frau, und hat dann immer ein bisschen Angst gehabt, dass die Frau riechen könnte, dass er bei uns geraucht hat. Wir sagten zu ihm auch Onkel Alfred. Er war ein wirklich sehr lieber Mann.
Hannelore König über Alfred Wolf


Paula Wolf, geb. Vollmer *20. Mai 1887 Hagenbach (Pfalz) † Auschwitz

Paula Wolf, geb. Vollmer
*20. Mai 1887 Hagenbach (Pfalz)
† Auschwitz

Gemeinsam mit ihrem Mann Alfred wird Paula am 22. Oktober 1940 aus Wangen nach Gurs deportiert. Nach einem Zwischenaufenthalt im Sammellager Drancy werden beide am 12. August 1942 in das Vernichtungs­lager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Todestag ist nicht bekannt.

Von Paula Wolf ist kein Bild überliefert.

Emil Wolf  * 20. Oktober 1885 in Wangen  † 4. Juli 1939 in Singen

Emil Wolf
* 20. Oktober 1885 in Wangen
† 4. Juli 1939 in Singen

Emil Wolf, geboren am 20.Oktober 1885 in Wangen, wurde während des Novemberpogroms am 10. November 1938 im Rathaus zusammen mit den anderen jüdischen Männer des Dorfes verprügelt und anschließend ins KZ Dachau gebracht. Dort inhaftiert vom 12. November bis zum 12. Dezember 1938. Emil Wolf starb an den Folgen der unmenschlichen Haft am 4. Juli 1939 im Krankenhaus in Singen.

 
Rosel_Wolf.png

Die »Central Database of Shoah Victims’ Names« verzeichnet zu Rosel Wolf zwei Einträge:

Rosa Wolf wurde 1888 in Wangen, Deutsches Reich geboren. Während des Krieges war sie in Frankreich und wurde am 08.08.1942 mit Transport 901–13 von Gurs nach Auschwitz Birkenau deportiert. Rosa wurde in der Schoah ermordet.

Rosalie Wolf, geb. Gump wurde 1888 geboren. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebte sie in Wangen, Deutsches Reich. Rosalie wurde in der Schoah ermordet. Todesort: Gurs. Todestag: unbekannt


Dokument aus dem Gemeindearchiv Wangen.
[WA1,136 Israelitische Angelegenheiten, 30]

Die Oktoberdeportation war keine Aktion, die von den Heimatgemeinden der Betroffenen ausgegangen wäre; auch in Wangen rückten die SS-Mannschaften aus der Radolfzeller Kaserne an, um die zumeist sehr alten Menschen binnen kürzester Frist aus ihren Häusern zu holen und mit nur notdürftigem Gepäck versehen an die Sammelstellen zu bringen.

Entsprechend wies die Wangener Gemeindeverwaltung nach dem Krieg auch jegliche Beteiligung an der Unrechtstat empört zurück; Unterlagen hätten sich im eigenen Archiv nicht erhalten. Dies entspricht nicht ganz den Tatsachen. Ein trauriges Dokument der Entrechtung wurde in Wangen doch überliefert: die hier wiedergegebene Übersicht über konfiszierte Barmittel und Sparkassenbücher der Jüdinnen und Juden, die ihre Heimat nie mehr wieder sehen sollten.


Brief Nathan Wolfs vom 8. November 1940

Nachdem Nathan Wolf von der Deportation seiner Mutter und seiner Schwestern erfahren hat, reagiert er in einem verzweifelten Brief an seine in Wangen zurückgebliebene Frau und die Kinder. Dieser Brief hat sich über die Jahrzehnte hinweg nur in Bruchstücken erhalten.

Meine Liebsten alle, ich bin jeden Morgen wie gerädert, wenn ich aufstehen soll, ich denke an Mutter und Selma und Clem, ich denke an Euch und besonders an Dich mein Herzelieb, und wie könnte ich da auch nur einen Moment froh werden.


Postkarte von Alfred Wolf an Nathan Wolf, Camp de Gurs, 3. November 1941

Postkarte von Alfred Wolf an Nathan Wolf, Camp de Gurs, 3. November 1941

Rückseite

Rückseite

Am 3. November 1941 schreibt Alfred Wolf seinem Freund Nathan eine Postkarte aus Gurs. Seit mehr als einem Jahr sitzt der frühere Wangener Nachbarn nun schon in diesem Dreckloch fest – in das Internierungslager am Fuß der Pyrenäen hatten die Nazis am 22. Oktober 1940 alle badischen und saarpfälzischen Juden deportiert.

Zusammen mit seiner Frau Paula wird Alfred Wolf später im KZ Auschwitz ermordet werden. Seine Karte an den glücklicheren Freund ist sein letztes überliefertes Lebenszeichen.

Liebe Natus!
Deine liebe Karte habe ich gestern erhalten, freut mich von Dir nach längerer Pause auch wieder was zu hören. Auch die Zeitungen habe ich erhalten und bitte Dich mir von Zeit zu Zeit weitere zu senden. Wir haben hier schon recht kalt und bei Regen ist es sehr un­gemütlich. Wir sind beide schon erkältet. Schon einige mal frug ich Dich an, ob die Kleider meiner Frau abgeholt sind, sodaß diese wenigstens gerettet sind. Zur Zeit interessiert mich der Krieg um Taganrok und Rostov, wo ich im letzten Krieg ¾ Jahre war. Kannst du  nun arbeiten? Von meine Vetter Sali & Ernst höre ich schon lange nichts obwohl ich zu den Feiertagen geschrieben habe, aber bis heute keine Antwort habe.
Herzliche Grüße an Dich, sowie Schwestern
Dein treuer Freund Alfred und Paula


Gerettet: Die Schwestern Selma Wolf und Clem Neu mit ihrer Mutter Nanette  1941 in Südfrankreich

Gerettet: Die Schwestern Selma Wolf und Clem Neu mit ihrer Mutter Nanette
1941 in Südfrankreich

Starke Familienbande und sehr viel mehr Glück als ihre früheren Wangener Nachbarn haben die Frauen der Familie Wolf. Sie werden aus der Drangsal des Lagers befreit und finden im Frühjahr 1941 Zuflucht in Stein am Rhein; zuvor haben die in der Schweiz lebenden Mitglieder der Familie dafür die imponierende Summe von 30.000 Schweizer Franken als Sicherheit hinterlegen müssen.

Geschändeter jüdischer Friedhof in Wangen, 1943, Aufnahme: Georg Tränkle

Geschändeter jüdischer Friedhof in Wangen, 1943, Aufnahme: Georg Tränkle


Behördenkorrespondenz in Kriegszeiten – eins der wenigen Dokumente aus der NS Zeit, die im Wangener Gemeindearchiv überliefert sind.

Als seine Mutter wenige Monate später auf dem Sterbebett liegt, richtet Nathan Wolf am 10. August 1941 folgende Bitte an das Badische Bezirksamt in Konstanz:

Aus Gründen der Pietät, und auch um ihren letzten immer wieder hervorgebrachten Wunsch zu erfüllen, möchte ich nun ergebenst um die Erlaubnis nachsuchen, meine Mutter auf dem jüdischen Friedhof in Wangen, wo auch ihre Eltern und Voreltern ruhen, im Grabe meines seligen Vaters beisetzen lassen zu dürfen.

Sein Gesuch wird mit einer ablehnenden Empfehlung des Landrats an das Bürgermeisteramt Wangen weitergeleitet. Als der Wangener Bürgermeister Denz, ein Jugendfreund Nathan Wolfs, seine Absage am 24. August in die Schreibmaschine tippt, ist Nanette Wolf bereits seit zwei Tagen tot. Sie wird in Stein am Rhein beigesetzt und erst nach dem Krieg auf den jüdischen Friedhof Wangen umgebettet; dort ruht sie im Grab ihres Mannes.


 
Nachrufblatt für Nanette Wolf, die am 22. August 1941 nach einem verstörenden letzten Lebensjahr in Stein am Rhein stirbt. Ihr Heimatdorf Wangen hat sie nicht mehr wiedergesehen.

Nachrufblatt für Nanette Wolf, die am 22. August 1941 nach einem verstörenden letzten Lebensjahr in Stein am Rhein stirbt. Ihr Heimatdorf Wangen hat sie nicht mehr wiedergesehen.

Der Herr hat es gegeben,
Der Herr hat es genommen,
Der Name des Herrn sei gelobt.
Hiob I,21

Am 22. August 1941, den 29. Aw 5701, entriss uns der unerbittliche Tod, unerwartet rasch, unsere innigste geliebte Mutter und Schwiegermutter Frau Nanette Wolf geborene Picard, *29.I.1853 in Wangen a.B.
Nach ihrem Aufenthalt im Camp de Gurs und Pau, Basses Pyrénées, Frankreich, hatte die uns Entrissene in Stein a. Rh., Schweiz, ein Obdach gefunden, wo sie zur letzten Ruhe bestattet wurde. Wir beklagen ihrem Tod gleich 900 Leidensgefährten des Camp de Gurs als Opfer unseres Kampfes.
Friede ihrer Ruhestätte!
Dem Auge fern, dem Herzen ewig nah!

 
Begräbniszug für Nanette Wolf, August 1941

Begräbniszug für Nanette Wolf, August 1941